Kerzennacht

„Kerzennacht“ misst 50 x 60 cm und ist mit Öl auf Leinwand gemalt.


Dargestellt ist ein Mädchen, eingehüllt in roter Kleidung. Ihr Blick ist gebannt auf die Flamme der Kerze, welche in ihrer Hand liegt, in deren flackerndem Schein sie eine Tänzerin sieht.

-Geschichten sind unser Gedächtnis, sobald unsere Erinnerungen vergangen sind-

Einst war es eine dunkle kalte Nacht als der Schnee schwer die spitzen Schieferdächer der Stadt bedeckte. Dicke Flocken fielen auf die Pflastersteine und im Dunkel der Nacht verloren sich die Häuser in Nebel und Schneetreiben.


Es war eine jener kalten Nächte, die sich lediglich vor einem warmen Karmin in Decken eingelullt und mit einer heißen Schokolade in de Hand genießen ließen, während man in den Geschichten, die der Sommer gebracht hatte, schwelgte. Dann schaute man nach draußen auf die verschneiten Gassen und einem wurde ganz warm in der Brust, als einem so auffiel, wie schön und magisch und ach, wie gut diese Welt doch war und wie gut es einem vor seinem Karmin im Sessel mit Decken und einem heißen Getränk und eigentlich allem ging. Dann, nach kurzem Innehalten kehrt man zurück zu guter Gesellschaft und freundlichen Worten.


Das kleine Mädchen, indem es in dieser Geschichte gehen soll, hatte allerdings nicht das Glück an all dieser Behaglichkeit teilzuhaben.
Für sie lagen warme Decken und heiße Getränke so unerreichbar hinter den Fenstern der Häuser. Hier in dieser Stadt war sie lediglich eine Weise, lediglich der Dreck unter einem Stiefel. An jenem eisigen Tage hatte sie sich lediglich am Ofen eines Maronenmannes aufwärmen können. Nun aber war es tiefe Nacht und zurück blieb nur die Dunkelheit.


Während also die anderen Menschen unnahbar nur als ferne Lichter existierten, lief eben jenes Mädchen durch die Eisigen Straßen und Gassen jener Stadt. Mit jedem neuen Schritt sanken ihre kleinen Füße ein stück tiefer in das immer höher liegende kalte Weiß.


Durch jene Stadt zog sich ein kleiner Fluss. Tagsüber glitten andere Kinder auf Schuhen gleich einem Schlitten über die gefrorene Oberfläche. Jetzt aber war anstelle des freudigen Lachens, oder auch des Weinens, wenn eines der Kinder stürzte, nur das Pfeifen des Windes zu hören. Doch der Wind sprach zu ihr und flüsterte beinahe tröstend in ihr Ohr. Aber Wärme vermochte er ihr wirklich nicht zu spenden.


Entlang ihres Blickfeldes zogen graue Gestalten an ihr vorüber, alle in Großer Eile in ihre Häuser zu huschen. Doch keiner bemerkte sie und so stapfte sie tapfer weiter durch jenes Schneegestöber. Den Blick auf ihre Füße gerichtet stolperte sie unversehens gegen einen großgewachsenen Mann. Jener war in einen langen schwarzen Mantel gehüllt, dessen Kragen gegen den Wind hochgeschlagen war. Sein Gesicht war schmal, nahezu elegant und trotz Eiseskälte war seine Nase kaum rotgefroren. Beide waren so aufeinander gelaufen, dass er sie einfach um-gelaufen hatte, sodass sie schlichtweg tief in den Schnee geplumpst war. Als er sie bemerkte kniete er sich zu ihr nieder und durch die Dunkelheit, die sie zwei trennte, erkannte sie, dass er sie herzlich anlächelte. In seinen tiefen Augen stand ein Hauch von Traurigkeit, doch ebenso strahlte er ein Verständnis aus, welches ihr sagte, dass alles gut würde. Sie wusste sie brauchte keine Angst zu haben. In einer ruhigen, ausholenden Geste griff er in seinen Mantel hinein und aus dem Dunkel zog er eine alte Kerze und steckte sie ihr mitsamt einem Schächtelchen Zündhölzer entgegen. Wortlos wartete er, während schwere Flocken entlang seiner knochigen Finger zu Wasser zerschmolzen. Sie zögerte. Als sie nach den Geschenken griff, stand er in einer fließenden Bewegung auf und schritt und trat wie ein Schatten entlang seines Weges in die Dunkelheit hinein.


Das Mädchen blieb im Schnee liegend zurück. Sie rutschte sich an eine Häuserwand heran, an der sie einigermaßen von pfeifendem Wind und peitschendem Schnee geschützt blieb. Zurück blieben Kälte und Stille. Die Flocken, die sich auf ihrer Nasenspitze gesammelt hatten konnten schmelzen und tropften ihr nun auf die Brust. Wie sie da hockte, starrte die die beiden Gegenstände an, die sie so unverhofft geschenkt bekommen hatte.


Sie öffnete die kleine Schachtel. Es lagen kaum noch Zündhölzer darin. Mit erfrorenen Fingern griff sie hinein und rieb mühsam eines der verbliebenen an. Nach einigen Versuchen loderte eine zittrige Flamme an dem dürren Holz, mit welcher sie die Kerze entzündete.


Heißes, geschmolzenes Wachs kroch entlang des Dochtes und wie es in die Flamme gespült wurde, so verformte sich dieses Licht und begann zu tanzen. Die Flamme formte sich zu einer Zierlichen Ballerina, die von fernen Weltenbühnen zu ihr kam, nur zu ihr, um für sie zu tanzen. Und so tanzte sie, zu einer Melodie, die ausschließlich für sie beide zu hören war. Verzaubert und gebannt starrte das Mädchen in die Flammen als die Tänzerin sich verbeugte, so patschte sie vor Begeisterung in die kleinen Hände und in ihrem kindlichen Ungeschick fiel die Kerze zu Boden. Dunkelheit umhüllte sie. Sie tastete angestrengt die Pflastersteine ab, suchte und suchte und griff nach der Kerze. Hastig entzündete sie den Docht erneut.


Wachs sog sich entlang des Dochtes, doch diesmal blieb die Flamme ruhiger. Das Feuer trat ihr in Form eines Geschichtenerzählers entgegen, der von Sommer und Liebe erzählte. Mit großen Augen lauschte sie, bis ein plötzlicher Windstoß die Flamme zum Schweigen brachte.


Ein weiteres Hölzchen zeigte ihr einen Zirkus mit springenden Pferden und brüllenden Löwen. Bei anderen sah sie exotische Tiere, hörte Melodien, beobachtete Momente. Das meiste von alledem war so unglaublich, dass wohl kein Mensch es hätte verstehen können und es war so verwunderlich und wunderschön und traumgedankerisch.


Doch als das Mädchen dann zum letzten Hölzchen griff, hielt sie inne. Eine Weile zögerte sie. Schließlich rieb sie es doch an und
entzündete die Kerze. Sie spürte die Wärme, die diese ausstrahlte und roch den Duft von Kaminfeuer und heißer Schokolade. Sie sank friedlich wie in einen Sessel gegen die raue Häuserwand und fühlte, wie die Wärme des Lichtes sie zudeckte. Noch lange flackerte das Licht der Kerze, doch schließlich wurden ihre Lieder schwer. Und während sie die Dunkelheit des Schlafes umhüllte, dachte sie dankbar an das magische Kerzenlicht, die ihr als so großes Geschenk gegeben worden war. Die ihr all die großen Wunder des Lebens gezeigt hatte. Ein letztes Mal blickte sie in die Flamme und schlief schließlich friedlich ein.


Niemand würde je wieder sehen, was ihr gezeigt wurde und gar niemand könnte es verstehen. Flammende Tänzerinnen, Feuerpelzlöwen, all jene Geschichte, Gerüche und Melodien, all dies war ihres. All dies war ihres und würde auf ewig verloren sein, ebenso sie ein kleines Mädchen unter kalten weißen Decken.

Copyright © 2022 Nikolai Bolik